Als ihr Mann Rüdiger sie verlässt, bricht für Roxanne eine Welt zusammen. In ihrem Schmerz ist sie nahezu handlungsunfähig und vernachlässigt sich und ihre 8-jährige Tochter Jennifer. Da holt ihr Vater, Alfred Konrads, sie zu sich nach Hause und versucht, sie wieder aufzubauen. Jennifer vermisst ihren Vater und leidet sehr unter den neuen Verhältnissen, die sie sich nicht erklären kann…
Kathinka Leipert stand am Fenster der winzigen Küche, in der es so schwierig war, Ordnung zu halten und starrte in das verlöschende Tageslicht. In ihren blauen Augen war ein grenzenlos trauriger Ausdruck, der so gar nicht zu ihrer gepflegten damenhaften Erscheinung passen wollte. Bei einer jungen Frau wie ihr, bildhübsch, tadellos gewachsen und geschmackvoll gekleidet, wäre da nicht eine gewisse Sorglosigkeit angebracht gewesen, jene jugendliche Leichtigkeit, die einem im Verlauf des Lebens unweigerlich und bedauerlicherweise irgendwann einmal abhanden kam? Doch Kathinka Leipert hatte Sorgen, sie hatte sogar das seltsame Gefühl, seit einiger Zeit auf einer Schaukel zu sitzen. Früher war sie sich ihres Glücks so sicher gewesen, hatte sich für eine vollkommen zufriedene Frau gehalten, die mit ihrem Mann das Große Los gezogen hatte. Seit einigen Wochen jedoch hatte ihr makelloses Familienglück unschöne Risse bekommen, begann der vermeintlich unverzehrbare Goldglanz ihrer ehelichen Harmonie matter zu werden. Kathinka machte unvermittelt die bestürzende Feststellung, seit gut zehn Jahren in einem Wolkenschloß aus lauter regenbogenbunten Illusionen gelebt zu haben. Auf einmal wünschte sie sich, über Dinge zu sprechen, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte oder über die sie niemals mit einer Menschenseele hatte sprechen wollen. Aber Peter ist ja nicht da, stellte sie gereizt fest, war auf einmal nervös und unruhig und hatte das Gefühl, daß irgendein Unglück auf sie wartete. Ein Unglück, das sich im Hintergrund, von Peter und ihr unbemerkt oder verdrängt, so genau ließ sich das nicht mehr feststellen, aus Ereignissen und Einflüssen zusammengebraut hatte und nun jeden Moment mit seiner ganzen furchtbaren, seit langem aufgestauten Gewalt über sie hereinbrechen konnte. Kathinka war so in ihre deprimierenden Gedanken vertieft, daß sie nicht hörte, wie sich die Küchentür leise öffnete. “Mami?” Kathinka drehte sich um. Ihr Sohn Daniel streckte den dunklen Kopf zur Tür herein. Vom Toben gerötete Wangen, seidenweiche zerzauste Haarsträhnen, die sich wegen der vielen Wirbel niemals ordentlich glätten ließen, große braune Augen, die sie bittend anschauten. Und natürlich wieder barfuß. “Kommst du heute nicht mehr, Mami?” fragte der Achtjährige, der mit einer Hand die rutschende Hose seines blauen Pyjamas festhielt, mit der anderen die Türklinke umfaßte. Der rosige Kinderbauch leuchtete zwischen Hose und hochgerutschtem Oberteil des Pyjamas, das arg mit Fingerfarben gestreift war. Wie immer, wenn Kathinka ihren Sohn anschaute, durchflutete sie Stolz und Freude.